Auszug aus der Festschrift "100 Jahre Sport & Kultur 1902 - 2002", SG Walldorf Astoria 02 e.V.
Leichtathletik in Walldorf
von Dieter Herrmann
Nach der Stadterhebung im Jahre 1901 folgte ein Jahr später die Gründung des Turnvereins Walldorf. In der Form „volkstümlicher Übungen“ blieb die Leichtathletik lange Zeit Bestandteil des Turnens. Erst allmählich nahm sie den Charakter einer eigenständigen Sportart an. Seit den Olympischen Spielen 1896 in Athen war man in Deutschland bereit, die Technik der Angelsachsen zu übernehmen. Die Einführung des Tiefstarts amerikanischer Athleten stellte eine Revolution europäischer Laufgewohnheiten dar.
Für die Walldorfer Leichtathleten fehlte es an den grundlegendsten Voraussetzungen: An einem Übungs- und Wettkampfplatz. Damit waren sie in derselben Lage wie die Fußballspieler. Die ersten Wettkämpfe wurden auf einer Wiese, der „Tuchbleiche", wo 1908 der erste Spielplatz eröffnet wurde, oder auf einer staubigen Chaussee ausgetragen.
An die Akteure der ersten Jahre der „leichten Athletik" erinnern noch einige Gruppenfotos und Diplome im Jugendstildekor.
Der Aufbruch manifestierte sich bei Fahnenweihen und dem Besuch von Turnfesten in benachbarten Ortschaften.
Bei den später gegründeten Sportvereinen, FC „Astoria" 1908 und dem Turnerbund, wurde auch Leichtathletik betrieben. Bedeutendster Läufer in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war Valentin Klever, der vom Sprint bis zur Langstrecke alles lief. Sein Bruder Josef Klever tat es ihm nach dem Krieg gleich.
Der Erste Weltkrieg bereitete der Sportbewegung ein jähes Ende. Viele Athleten mussten ihr Leben auf den Schlachtfeldern lassen oder kehrten mit körperlichen Gebrechen in die Heimat zurück.
Erst das Jahr 1919 sah die Sportler wieder aktiv. Der FC Walldorf veranstaltete „Olympische Spiele“. Es waren dies leichtathletische Wettkämpfe in den Sommermonaten als der Spielbetrieb im Fußball ruhte.
Der Sport in Walldorf spaltete sich in der Zeit der Weimarer Republik dann in weltanschauliche Gruppierungen auf. Wir sehen zum Beispiel auf einer Postkarte der „Vereinigten Arbeiter-Sport-Gemeinde Astoria Walldorf“, Leicht- und Schwerathletik-Abteilung, die Siegermannschaft bei einem Wanderpreis 1925-1926. Folgende Athleten stellten sich dem Fotografen: Julius Bucher, Hans Bruckner, Wilhelm Lamecher, Karl Hagmaier, Hans Lamecher, Georg Bruckner und Betreuer Jakob Winnes.
Im Arbeitersport hatte man dem Rekordprinzip der bürgerlichen Gesellschaft den Vorrang des Massensports gegenübergestellt. Aber dem Trend der Zeit folgend, strebten die besten Arbeitersportler nach Anerkennung ihrer Leistung. Es erschienen Jahr für Jahr die „Bestenlisten“ in den einzelnen leichtathletischen Disziplinen. Erst nur Daten, dann ging man dazu über, die Besten mit Namen zu nennen und Rekorde zu führen.
Traum der damaligen Leichtathleten war eine Aschen-Rundbahn. 1928 erfüllten sich die Arbeitersportler diesen Traum, indem sie sich ihre Bahn auf dem heutigen Sportgelände bauten.
Nach der „Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten 1933 war das Schicksal der sporttreibenden Vereine, der konfessionellen wie der Arbeitersportvereine besiegelt. Zwangs- oder Selbstauflösung und Fusionen lassen sich in Walldorf belegen. 1937 konzentrierte sich das Walldorfer Sportleben im „Turn- und Sportverein 02 Walldorf Astoria“. Der Sport erhielt einen politischen Auftrag. Die Nazis erkannten die wehrkraftfördernde Wirkung einer guten sportlichen Ausbildung. Diese athletische Wehrertüchtigung hatte auch schon in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik starken Anklang gefunden. Der Gepäckmarsch, der Geländelauf und das Handgranatenwerfen hatten Hochkonjunktur.
Die Leistungen der Leichtathleten erreichten in den 1930er Jahren ein beachtliches Niveau. Einige Athleten sollen hier mit ihren Leistungen genannt werden: Karl Stephan (100 m: 11,2 sec.; Weitsprung: 6,45 m; Kugelstoßen:12,80 m; Diskuswerfen: 35,60 m; Speerwerfen: 54,55 m; Steinstoßen: 9,20 m; Schleuderball: 53,20 m), Hans Werner (100 m: 11,0 sec.; 200 m: 23,9 sec.; Kugelstoßen: 12,75 m), Wilhelm Willinger (100 m: 11,3 sec.; Weitsprung: 6,21 m). Die 4 x 100-m-Staffel lief in der Besetzung Helm, Stephan, Willinger und Werner gute 45,5 Sekunden. Betreuer dieser Athleten war Erwin Hörty, der sich auch nach Kriegsende stark in der Astoria engagierte. Die Freude über diese Leistungen dauerte nicht lange: Es kam der Zweite Weltkrieg. Das sportliche Leben kam weitgehend zum Erliegen.
Nach der Niederlage Nazi-Deutschlands 1945 waren Walldorfs Sportler bestrebt, das Vereinsleben neu zu gestalten.1946 erlaubte die alliierte Militäradministration die Wiederaufnahme des Sportbetriebes in Walldorf. Die Sportarten Fußball, Handball, Leichtathletik und Turnen fanden in der SG Walldorf Astoria 02/08 ihre neue Heimat. Hans Werner, erfolgreicher und populärer Leichtathlet der 30er Jahre, scharte eine kleine Gruppe junger Leichtathleten um sich, die sich leistungsmäßig kontinuierlich entwickelte. Kreismeisterschaften und gute Platzierungen bei badischen Meisterschaften waren die Folge. Hans Werner gewann beim Deutschen Turnfest 1948 in Frankfurt a. M. in der Altersklasse 1915-1909 den Dreikampf und beim Landesturnfest (Nordbaden) 1949 in Karlsruhe dieselbe Disziplin. Den ersten Titel eines badischen Meisters in der Männerklasse holte sich Dieter Herrmann 1963 in Baden-Baden. Unter Trainer Walter Fritz machten die Sprinter in den 70er Jahren große Fortschritte und verschafften sich bei der Konkurrenz einen guten Namen.
Friedel Wolf ist mit seinen 10,6 Sekunden über 100m immer noch schnellster Walldorfer, wenn ihm auch Rüdiger Müller mit elektronischen 10,93 Sekunden fast gleich kam. Die damalige Vorzeigestaffel in der Besetzung Reinhard Binz, Bernd Uhrig, Rüdiger Zeltmann und Peter Weisbrod hält mit 41,9 sec seit 1977 heute noch den Vereinsrekord.
Gut in Szene setzen konnten sich auch die Mittel- und Langstreckenläufer, die die Vereinsrekorde hochtrieben. Karl-Heinz Treiber, der süddt. 800-m-Vizemeister Peter Weisbrod und Donaldo Arza sollen hier genannt werden. Letzterer stammt aus Panama und vertrat sein Land bei Panamerikanischen und Olympischen Spielen. Heute lebt er als renommierter Arzt in Heidelberg.
Herausragender Werfer dieser Jahre war Claus-Dieter Föhrenbach, der 1976 bei den Junioren zweiter deutscher Meister im Kugelstoßen wurde und in dieser Disziplin und im Diskuswerfen in Baden-Württemberg ganz vorne zu finden war. Föhrenbach erhielt 1974 als erster „Astorianer“ eine Berufung in die Nationalmannschaft. Beim Länderkampf der Junioren Polen-Deutschland gewann er das Kugelstoßen und wiederholte diesen Erfolg 1976 beim Länderkampf Deutschland-Frankreich. Leider verließ er 1977 die Astoria und wechselte zum USC Heidelberg.
Auf ebenfalls zwei Einsätze im Nationaltrikot kann Rainer Siebold stolz sein. In der „J23" belegte er über 400-m-Hürden bei den Länderkämpfen Frankreich-Deutschland (1989) und Spanien-Großbritannien-Deutschland (1991) jeweils den fünften Platz. Rüdiger Müller nahm 1991 bei den Junioren-Europameisterschaften in Saloniki (Griechenland) teil und lief mit der 4 x 400-m-Staffel auf einen vierten Platz. 1993 wurde er deutscher Juniorenmeister über 400m.
Bergspezialist Dirk Debertin kam 1997 mit der Nationalmannschaft bei der European-Mountain-Trophy auf einen sechsten und im Jahr 2000 bei der Mountain-World-Trophy auf einen vierten Platz.
Seine stolze Bilanz als Mittel- und Langstreckenläufer krönte Jürgen Herzog 1992 mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den deutschen Marathonmeisterschaften.
Auf erfolgreiche Jahre können auch die Zehn- und Fünfkämpfer um Rolf Heinzmann zurückblicken, die mehrfach Titelträger in Baden-Württemberg und Baden waren.
Achtmal gewannen Walldorfer Athletinnen und Athleten mit ihren Universitätsstaffeln den Titel bei deutschen Hochschulmeisterschaften.
Höhepunkte der letzten zehn Jahre waren die Erfolge der Frauen- und Männerstaffeln über 4 x 100 m und 4 x 400 m, die stets kämpferische Glanzleistungen boten. Erfolgreichste Athletin dieser Zeit war Silke Müller, die vom Sprint bis zu den Mittel- und Langstrecken unzählige Landestitel verbuchen konnte.
Sechs badische Mannschaftstitel in der Regionalliga und die siebenmalige Teilnahme an süddeutschen Endkämpfen dieser Klasse dokumentieren die Breitenarbeit der Astoria.
Im Leistungsbereich der Senioren errangen Udo Laub 1993 in der M30 und Rolf Heinzmann 1995 in der M35 im Internationalen Fünfkampf den Titel eines deutschen Meisters. Im vergangenen Jahr stand Michael Albert in der M35 gleich viermal auf dem obersten Treppchen bei den badischen Meisterschaften. Er gewann alle vier Wurfwettbewerbe.
Neben den Einsätzen für die Astoria gab es regelmäßige Nominierungen für Kreisauswahlmannschaften in allen Altersklassen. Viele Athletinnen und Athleten trugen bei Ländervergleichskämpfen die badischen Farben. Sie punkteten gegen süddt. Verbände, aber auch gegen Berlin, Nordtirol (A), Südtirol (I) gegen den Kanton Basel (CH) und das Elsaß (F). Rüdiger Müller lief 1993 in der in 3:11,95 Min. siegreichen 4 x 400-m-Staffel Baden-Württembergs beim U23 Länderkampf gegen die Schweiz, Rhone-Alpes (F), Katalonien (E) und Midlands (GB) als Schlussläufer ein denkwürdiges Rennen. Zwei Jahre später bestritten Rainer Fischer (3.) und Christian Bauer (5.) die 400-m-Hürden beim U19 Länderkampf "Vier Motoren Europas" gegen die Partnerregionen Baden-Württembergs Lombardei (I), Katalonien (E) und Rhone-Alpes (F) in der Olympiastadt Albertville. Fischer wurde mit der 4 x 400-m-Staffel Zweiter.
Seit dem 27. August 1981 existiert bei der Leichtathletikabteilung in Walldorf auch ein Lauftreff, dem ein Walking-Treff folgte. Beide erfreuen sich eines regen Zuspruchs. Eine Freizeitgruppe nahm im Frühjahr 1999 ihren Betrieb auf.
Bei Sportlerehrungen der Stadt Walldorf war die Abteilung bisher eindrucksvoll vertreten. Viele ihrer Athletinnen und Athleten wurden für ihre hervorragenden Leistungen zur „Sportlerin" oder zum „Sportler des Jahres" gewählt und erhielten so eine sichtbare Bestätigung ihrer Anstrengungen durch die lokale Öffentlichkeit.
Fachlich qualifizierte Trainer kennzeichnen die erfolgreichen Jahre der Walldorfer Leichtathletik. Hier einige dieser Übungsleiter, die für die Astoria arbeiteten bzw. noch heute ihr Wissen den Athleten weitergeben: Hans Werner, Horst Gaberdiel, Walter Fritz, Reinhard Meinert, Horst Dobhan, Günter Willinger, Rolf Pietzsch, Dieter Herrmann, Rolf Heinzmann, Peter Weisbrod, Dieter Heinzmann, Brigitte Freitag, Gunter Horny, Roland Flory, Jürgen Herzog, Albert Brenzinger, Reinhard Binz, Waltraud Sarvari, Andreas Dürr, Helge Benkeser und Rita Merklinger- Beilharz.
Neben den sportlichen Erfolgen und Leistungen sollen auch andere wichtige Dinge nicht unerwähnt bleiben wie zum Beispiel die jährlichen Ostertrainingslager, die einmal in Vichy (F) begannen und nach 22 Jahren in Italien (Viareggio, Lido di Camaiore; Tirrenia) in diesem Jahr mit Tenero am Lago Maggiore (CH) vielleicht eine neue Heimat gefunden haben.
Allen Teilnehmern noch gut in Erinnerung sind die freundschaftlichen Beziehungen zu Klubs in Deutschland und Europa: SV DeTeWe Berlin, LG Winsen Nordheide, Racing Strasbourg (F), Norrtälje IF (SWE), Kaarinan Urheilijat (S), Banik Sokolov (CR).
Heute bestehen noch gute Kontakte zu Celtic Diekirch (L) und Mlada Boleslav (CR).
Aus den Reihen der Astoria startete auch Ulrike Sarvari ihre große Karriere. Sie wurde Hallen-Europameisterin im 60m und 200-m-Sprint und holte für den VfL Sindelfingen einige deutsche Meistertitel.
Stolz ist die Abteilung auch auf Wolfgang Ketterle, der 2001 den Physik-Nobelpreis erhielt. Er trainierte und startete in den Jahren 1975 bis 1977 als Mittel- und Langstreckenläufer für die SG Walldorf Astoria 02 e.V..
1981 hatte die alte Aschenbahn ausgedient. Der lang ersehnte Wunsch nach einer Kunststoffbahn wurde 1982 mit der Einweihung des Waldstadions Wirklichkeit. Das Graben der Startlöcher, das Abzeichnen der Laufbahn mit Kalk oder Sägemehl und das lästige Grasrupfen entfielen.
Der 100. Geburtstag der Astoria veranlasste die Stadt jetzt zu großen Investitionen .Die Tribünen im Stadion sollen erhöht und überdacht, die Kunststoffanlagen renoviert werden, was im Hinblick auf die süddeutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Sommer 2002 eine bessere Wettkampftauglichkeit gewährleistet. Der Vergabe von hochkarätigen Meisterschaften wird damit in Zukunft nichts mehr im Wege stehen. Dafür sei der Stadt Walldorf gedankt.
Reinhard Meinert leitet seit 1970, unterbrochen durch die Amtszeit Roland Kögels (1979-1984), die Geschicke der Walldorfer Leichtathleten. Die Abteilung wuchs in dieser Zeit auf 280 Mitglieder. Er prägte in mehr als 25 rekordverdächtigen Jahren die Abteilung. Zeiten der Flaute und des Rückenwinds fielen in seine Amtszeit. Gerieten sich die Verantwortlichen unter seiner Ägide bei hausgemachten Problemen in die Haare und fielen manchmal unfreundliche Worte, so folgten dem postwendend wieder ausgleichende und versöhnliche Gesten.
Dass sich aus den bescheidenen Anfängen eine weithin bekannte und respektierte Abteilung entwickeln konnte, ist maßgeblich den Abteilungsleitern Hans Werner, Karl Seidelmann, Werner Ganzer und Horst Gaberdiel, um einige stellvertretend zu nennen, zu verdanken.
Ein herzlicher Dank geht an all die Trainer, Betreuer, Kampfrichter, Helfer und Kuchenbäcker, die in ihrer Freizeit engagiert etwas für die Leichtathletik getan haben.
Weiter so!